Ein humanistischer Wohlfahrtsverband seit 1945 in Ostdeutschland: die Volkssolidarität

Nach Kriegsende, am 17.10.1945, beschloss der Landesarbeitsausschuss des Blocks der anti-faschistisch-demokratischen Parteien in Sachsen die Errichtung eines großen Hilfswerkes. Dazu wurde ein Landesarbeitskreis gebildet mit je einem Vertreter der politischen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Dieser wählte in seiner 1. Arbeitsbesprechung den Namen „Volkssolidarität“ für dieses Hilfswerk und beschloss die Herausgabe eines Aufrufes. Unter dem Titel „Volkssolidarität gegen Wintersnot“ erschien dann am 19.10.1945 in der „Sächsischen Volkszeitung“ sowie am 20.10.1945 u.a. in der „Volksstimme“.

Zu den Unterzeichnern des Schriftstückes gehörten:

Hermann Matern (KPD)
Otto Buchwitz (SPD)
Prof. Dr. Kastner (LDPD)
Martin Richter (CDU)
Otto Seifert (FDGB)
Dr. Schädelberg / Herr Sprentzel (für die Landeskirche)

Historisches Plakat: Stadt und Land übt Volkssolidarität

Im ganzen Bundesland wird dieser Aufruf zur Überwindung der größten Not des ersten Nachkriegswinters begeistert aufgenommen. Ebenso begrüßte das Präsidium der Landesverwaltung Sachsen diese Initiative und startete seinerseits einen Aufruf, durch ein großes Werk der Volkssolidarität über die Schwierigkeiten dieses ersten Winters nach der Katastrophe hinwegzukommen.
Am 24.10.1945 fand im Gebäude der „Sächsischen Volkszeitung“ in Dresden in der Großhainer-/Ecke Heidestraße eine Konferenz mit mehr als 1000 Teilnehmern statt. Im Namen der Verfasser des Aufrufes „Volkssolidarität gegen Wintersnot“ vom 17.10.1945, die mit diesem Tag zu den Gründungsmitgliedern der Volkssolidarität wurden, begründete Hermann Matern das „Programm der Volkssolidarität“. Darin wurde die Verbundenheit der Solidarität der Arbeiterschaft mit der christlichen Nächstenliebe, mit der Hilfsbereitschaft aller Bevölkerungskreise zur Solidarität des ganzen Volkes deutlich – das war die Geburtsstunde der VS.
Ähnlich dieser solidarischen Entwicklung im Land Sachsen entstanden z.B. in Sachsen- Anhalt ein „Hilfswerk der Provinz“, die „Thüringenaktion gegen Not“ oder die Aktion „Rettet die Kinder“ in Brandenburg.
1946 begann die Koordinierung aller dieser Volksbewegungen in der gesamten damaligen sowjetischen Besatzungszone, es entstand die Gemeinschaft „Volkssolidarität“.

Historische Aufnahme: Werkstatt

In den ersten Nachkriegsjahren war die Tätigkeit der Volksolidarität von einer großen Aufgabenvielfalt zur Linderung der größten Not gekennzeichnet. So galten die ersten Aktionen der Enttrümmerung der zerstörten Städte und Dörfer, dem Ingangsetzen von Betrieben und Werkstätten sowie dem Aufbau von Transportmitteln. Später konnten die zahlreichen Helfer und Freunde der Volkssolidarität übergehen zur Winterfestmachung von Wohnungen (Hausbrandversorgung), zum Aufbau und Einrichtung von Kinderheimen, Krankenhäusern, Altersheimen, Wärme- und Nähstuben, Tauschzentralen sowie Volksküchen und Bahnhofsdiensten. Weiterhin wurde Hilfe für Flüchtlinge, Umsiedler, ehemalige Kriegsgefangene, Heimkehrer und Ausgebombte geleistet.

Mit Geld-, Lebensmittel- und Kleidersammlungen sowie Spenden aller Art konnten so viele Menschen vorerst notdürftig versorgt werden.
Vor allem dem Wohl der Kinder galt die Fürsorge der Volkssolidarität. Ihnen wurden nach den langen schweren Kriegsjahren wieder Möglichkeiten für die Erholung, Sport und Spiel verschafft. Für elternlose Kinder wurde eine Zuflucht in Kinderheimen oder sogar ein neues Elternhaus vermittelt. Die Aktivitäten gingen bis zur Einrichtung von Kindergärten, Kurheimen und Kinderdörfern, nicht zu vergessen die Kinderspeisung mit Hilfe ausländischer Spenden.
Alle diese vielfältigen selbstgestellten Aufgabengebiete der Volkssolidarität waren in den Jahren nach 1945 der Hauptinhalt ihrer Arbeit und konnten natürlich keinesfalls die Aufgaben der kommunalen Verwaltungsorgane ersetzen. Aber dort, wo die Kraft der amtlichen Stellen nicht ausreichte, da setzte die Hilfe der Volkssolidarität ein.
Mit der Gründung der DDR wird die Volksolidarität zur einheitlichen Organisation und erfährt einen qualitativen Wandel in ihrer Aufgabenstellung. Nach und nach gehen soziale Einrichtungen und andere Wirkungsbereiche der Volkssolidarität in die staatlichen Organe bzw. andere Organisationen über. Bestimmte Leistungen werden mit der Überwindung der Nachkriegsnot allmählich überflüssig. Aber auch neue Tätigkeitsfelder eröffneten sich. Zum Beispiel beteiligte sich die Volkssolidarität an Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen oder anderen Notständen und unterstütze die Betroffenen. (Beispiel: 1950 Brand- und Naturkatastrophe in Gingst (Rügen) und Bruchstedt, Unterstützung mit Spendemitteln von 1,4 Mill. M)
Somit erwiesen sich auch in dieser neuen Situation die Traditionen solidarischen Handelns, selbstlosen Einsatzes und leistungsfähiger ehrenamtlicher Arbeit als stabile Grundlage für das Fortbestehen der Volkssolidarität. Sie entwickelte sich zu einem Mitgliederverband, der seine Arbeit vor allem über Orts- und Wohngruppen organisierte und sich zunehmend vor allem der sozialen und kulturellen Betreuung und Selbstbestätigung älterer Bürger widmete.

Postkarte 60 Jahre Volkssolidarität

Seit 1956 entstanden Klubs der Volkssolidarität, die sich als Zentrum der Begegnung, Geselligkeit, Kultur, Bildung und Unterhaltung entwickelten. Aktive Nachbarschaftshilfe, Hauswirtschaftspflege für Kranke und hilfsbedürftige Menschen, Essenversorgung, Entwicklung von festen Beziehungen zu Kindergärten, die Neuerrichtung solcher sowie gemeinsame Veranstaltungen aller Art dem Gedankenaustausch und der Freude dienend – das waren die Eckpunkte der Arbeit der Volkssolidarität in dieser Zeit.
Natürlich war die Volkssolidarität fest in das gesellschaftliche System der DDR eingeordnet, aber fest steht auch, dass sie angesichts der Gegebenheiten (z.B. Mangel an Plätzen in Senioren- und Pflegeheimen) für Millionen älterer und kranker Menschen eine äußerst hilfreiche Arbeit leistete.

Der gesellschaftliche Umbruch der Jahre 1989/90 ging natürlich auch an der Volkssolidarität nicht spurlos vorüber. Die Mitgliederzahl schrumpfte stark, Orts- /Wohngruppen und ehrenamtliche Helfer stellten ihre Arbeit ein oder wechselten zu den neu im Osten Deutschlands aufkommenden Verbänden wie Arbeiterwohlfahrt, Arbeiter-Samariterbund u.a. Die Ursachen dafür waren unterschiedlich, teils waren es Alters- oder Gesundheitsgründe, teils Frust infolge der „Wende“.
Wie weiter? Die Bedingungen bundesdeutscher Wohlfahrtspflege verlangten vom Verband, neu über Profil und Struktur nachzudenken und Veränderungen einzuleiten.
Daraus ergab sich 1990 die Gründung des Landesverbandes Sachen e.V. der Volkssolidarität in Dresden und die Eintragung in das Vereinsregister. Der Landesverband ging aus den ehemaligen Bezirksorganisationen der Volkssolidarität Dresden, Leipzig und Chemnitz hervor. Als noch junger Landesverband gehörte Sachsen zu den 23 Gründungsmitgliedern des Landesverbandes Sachsen e.V. des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Seit 1991 arbeitet die Volkssolidarität als eigenständiger, gemeinnütziger Verein.
Auf die Traditionen des Verbandes zurückgreifend, einschließlich der DDR-spezifischen Wurzeln der Nachbarschaftshilfe und der sozial-kulturellen Arbeit, entwickelte sich die Volkssolidarität seither mit neuen Leistungsangeboten zu einem anerkannten Träger der freien Wohlfahrtspflege.

Der Kreisverband Leipziger Land/Muldental e.V. ist ein gemeinnütziger, parteipolitisch und konfessionell unabhängiger, selbstständiger Verein.

Der Zweck der Arbeit ist die Fürsorge und Hilfe für Menschen aller Altersgruppen. Dies wird verwirklicht durch die Schaffung und Unterhaltung ambulanter und stationärer Dienste sowie Betreuungseinrichtungen im Rahmen der Altenhilfe, Behindertenhilfe, Hilfe für in Not geratene, Betreuung der Senioren /Vorruhest., Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie der Pflege ehrenamtlicher Arbeit in den Ortsgruppen.
Seit 1990 entwickelte sich der Kreisverband nach anfänglichen Mühen kontinuierlich zu einem anerkannten Wohlfahrtsverband.